Nachdem wir nur so kurz in Slowenien waren, haben wir sehr schöne Etappen durch Ungarn gehabt. Manchmal waren wir uns nicht ganz sicher, ob wir wirklich im Ausland unterwegs sind…
Dienstag: Über Nacht sind etliche Ameisen und andere Insekten über unsere Fahrradtaschen geklettert und haben auch irgendwie den Weg zu der Tüte mit dem restlichen Gemüse gefunden… es dauert eine Weile, die komplette Tasche auszuräumen und alles Gekrabbel abzupflücken. Alles zusammengepackt stellen wir freudig fest, dass wir für heute eine Zusage bei warmshowers bekommem haben. Direkt am vorderen Ende des Plattensees (Balaton) – nicht ganz 70 Kilometer für den heutigen Tag. Also treten wir bei allerschönstem Sonnenschein ordentlich in die Pedale.

Jedoch haben wir ein Problem: kein Frühstück ist in Sicht… Die ersten Orte durch die wir fahren sind entweder zu klein, um einen Supermarkt oder eine Bäckerei zu haben, oder diese sind geschlossen. Wieder merken wir, dass wir den deutschen Verhältnissen sehr nahe sind (und das ist nicht unbedingt vorteilhaft).
Zum Glück haben wir in unserer Notreserve diverse Energieriegel dabei, von denen wir uns jeder einen genehmigen. Fast 30 Kilometer und einige kleine Orte später kommen wir in Bak an, in dem es endlich einen ABC-Supermarkt gibt. Auf einer Bank vor einer interessant konstruierten Stadthalle lassen wir uns ein großes Radlermüsli schmecken. Das wurde auch höchste Zeit!


Mit vollem Magen radelt es sich deutlich besser! Das gute Wetter hält an, sodass wir bis zum Mittag gut durchradeln. Die Landschaft besteht weiterhin größtenteils aus Feldern abgewechselt von kleinen Waldstücken. „Das könnte wirklich bei uns zu Hause um die Ecke sein!“, meint Leon.
Gegen Mittag erreichen wir dann unser Tagesziel. Keszthely, der erste größere Ort direkt am Balaton. Sehr herausgeputzt und touristisch ist die Stadt sehr schön anzusehen und natürlich treffen wir hier jede Menge Österreicher. Allerdings haben wir uns ein wenig zu früh gefreut. Wir suchen die Adresse und nachdem wir in einem vollgestopften kleinen Souvenirshop nachgefragt haben stellen wir fest, dass wir noch einen Ort weiter müssen, der allerdings nahtlos mit diesem hier ineinander übergeht.
In Gyenesdiás finden wir schließlich das richtige Haus. Nur wenige hundert Meter vom See entfernt ist das Grundstück deutlich größer, als wir erwartet haben. Miklos und seine Familie wohnen hier und wir entschließen uns dazu, unser Zelt in dem wirklich großen und gut gepflegten Garten aufzuschlagen. Dann hält uns aber fürs erste nichts mehr und wir suchen hungrig etwas zu Essen. Uns wurde ein Imbiss empfohlen, der Langos verkauft, eine ungarische Spezialität. Also bestellen wir uns jeder eine der von Fett triefenden Köstlichkeiten, die aus fritiertem Teig bestehend, belegt mit Rahm und viel Käse wirklich super für eine Fahrradtour sind.
Dann heißt es nur noch: Ab in den See! Herrlich kalt ist der Balaton zu dieser Zeit. Wie wir später erfahren, erreicht er aber im Sommer bis zu 27 Grad Wassertemperatur, da er sehr flach ist… nicht die Abkühlung, die wir jetzt genießen können.
Vor uns liegt ein ganzer Nachmittag, an dem Leon zur Abwechslung mal endlich sein Buch weiter lesen kann. Das ist bisher viel zu kurz gekommen (siehe Halbzeitstatistik). Unterdessen vervollständigt Vincent den neuen Blogeintrag. Die Sonne brutzelt etwas zu stark, was wir später feststellen müssen. Leon legt sich früh mit einem Sonnenstich ins Zelt und kann den Abend nicht mehr genießen. Zuvor kocht er jedoch noch das Abendessen – ganz simpel Nudeln mit Pesto, da keiner von uns noch Lust hatte, einkaufen zu gehen. Draußen wird es jetzt unerträglich, weil ein ganzes Heer von Mücken auftaucht. Vincent hält es auch nicht mehr lange aus. Der halbe Pausentag hat uns fast mehr aus der Bahn geworfen, als dass er Erholung gebracht hat… trotzdem war er sehr schön!

Mittwoch: Wir wachen im immer wärmer werdenden Zelt auf, Zeit sich aus den Schlafsäcken zu schälen und anzuziehen! Obwohl es noch vor sieben Uhr morgens ist, hat die Sonne schon so eine Kraft, dass man sich den Schlafsack fast sparen kann. Wir merken jeden Tag mehr, wie es Sommer wird. Ein schönes Gefühl!
Während Leon schon den zweiten Tag in Folge jede freie Minute zum lesen nutzt (das Lesefieber hat ihn nach sechs Wochen ohne jegliche Buchstaben endgültig unaufhaltsam gepackt), unterhält sich Vincent noch kurz mit der Miklos Frau, die ihm mit Kaffee und Honig den Morgen versüßt. Dann verabschieden wir uns von der Familie und fahren zum Supermarkt, um Frühstück zu besorgen.

Da wir gestern eine entspannte Etappe von knapp 70 km hatten, müssen wir heute etwas mehr auf die Tube drücken. Unser Tagesziel ist, soviel wie möglich aber auf jeden Fall über 100 km. Zum Glück ist die heutige Strecke ziemlich flach und wir fahren die meiste Zeit am idyllisch gelegenen Plattensee entlang. Zu unserer Freude gibt es um den gesamten Plattensee eine ausgeschilderte Radstrecke, die zu großen Teilen auch einen eigenen, gut ausgebauten Radweg besitzt.


Zwischendurch kürzen wir immer mal wieder auf der Straße ab, da der Radweg ein paar Umwege weg vom See macht, um wenige Kilometer später wieder am Ufer entlang zu führen. Zum Fahren bestimmt schöner, allerdings auch länger. Doch auch die Straße hier ist wenig befahren und gut geeignet zum Strecke machen. In so ziemlich jedem Ort, den wir durchqueren, sehen wir deutsche Schilder wie z.B. „Zimmer frei“ oder „Apartment mieten“. Man merkt deutlich die deutschen Einflüsse der vielen Touristen hier in diesem Gebiet. Denn vor allem in Zeiten der DDR gab es viele Menschen, die hier ihren Urlaub verbrachten. Aber auch heute treffen wir noch einige Deutsche sowie Österreicher.

Nicht nur an dem gut ausgebauten Fahrradweg, sondern auch an den vielen auf den Radtourismus eingestellten Imbissbuden und Cafés am Wegesrand merken wir wie Radfahren hier boomt. Das erfreut uns natürlich sehr, doch wir merken auch an einigen geschlossenen Gaststätten, dass die Hochsaison anscheinend noch nicht gestartet hat.

Um die Mittagszeit wollen wir uns dann im nächsten Ort nach etwas Essbarem umschauen, doch der dortige Supermarkt scheint pleite gegangen zu sein und am Strand ist bis auf ein paar Fast-Food Buden noch alles geschlossen. Also haben wir keine andere Wahl, als mit knurrendem Magen 10km bis zum nächsten Ort zu fahren und dort auf eine bessere Versorgung zu hoffen. Und tatsächlich, wir werden fündig bei einem Mini-Supermarkt mit Stühlen und Tischen vor der Tür!

Nachdem wir uns mit genügend Kalorien für die zweite Tageshälfte befüllt haben, geht es an den Strand zur Toilette. Dort treffen wir auf einen Österreicher, der mit dem Motorrad unterwegs ist und uns erzählt, er sei früher ebenfalls mit dem Rad durch Südosteuropa gefahren. Doch nun würde er das motorisierte Zweirad doch einem Fahrrad vorziehen, da es nun mehr seinem Alter entspräche. Wir müssen kurz wieder an den 73-jährigen Amerikaner denken, den wir vor zwei Tagen in Slowenien getroffen haben.

Weiter führt uns der Weg am See entlang, bis wir schließlich nach schon fast 100 Tageskilometern das Ende des Plattensee erreichen. Nun heißt es Abschied vom Balaton, doch angesichts eines Abends mit weniger Stechmücken fällt unser diese Verabschiedung nicht allzu schwer. Wir fahren noch eine gute Stunde in den Abend hinein und genießen das warme Licht der tief stehenden Sonne. Diese Nacht wollen wir wieder mal unser Zelt in der Natur aufschlagen, doch das gestaltet sich auf den zweiten Blick als gar nicht so einfach. Denn die Landschaft um uns herum ist bis auf den letzten Quadratmeter hocheffizient bewirtschaftet und wir könne bis zum Horizont kein brachliegendes Feld ausmachen.

So fragen wir schließlich in einem Ort die Nachbarn einer unbebauten Wiese, ob wir dort zelten könnten. Unsere bewährte Notfallmethode. Die Frau gibt uns zu verstehen, dass dies absolut kein Problem sei. So schieben wir unsere Räder auf die etwas hügelige Wiese und während Vincent das Zelt aufschlägt fängt Leon an zu kochen. Heute gibt es Süßkartoffeln mit Auberginen-Paprika-Tomaten Pfanne. Sehr lecker!

Kurze Zeit nachdem wir das Zelt aufgeschlagen haben, kommt nochmal unsere heutige Nachbarin an den Zaun und gibt Leon Bescheid, dass diese Wiese bis September frei sei. So lange haben wir dann doch nicht vor zu bleiben, doch Leon dankt trotzdem lächelnd für diese außerordentlich hilfreiche Information.

Donnerstag: Offensichtlich hat Vincents Inspektion des Untergrundes am Abend wohl doch nicht volle Dienste geleistet, denn zumindest Leon hatte keine wirklich geruhsame Nacht. Ein lästiger Erdhaufen hat sein Bett für diese Nacht etwas unkomfortabel gemacht. Aber was solls, wir sind auf Fahrradtour, da gehört sowas eben dazu. Wir packen alles zusammen, inklusive des Müllbeutels den Leon diese Nacht schlauerweise außerhalb des Zeltes direkt auf einem Ameisenhaufen platziert hat. Dann verlassen wir die unebene aber schöne Wiese, unsere Nachbarin wird sich bestimmt wundern, dass wir nun doch schon nach einem Tag unser Zeltlager wieder aufgeben. Wir fahren die ersten 10 km bis in den übernächsten Ort, wo wir glücklicherweise direkt an einer geöffneten Bäckerei vorbeifahren. Dort decken wir uns fürs Frühstück ein und finden im nahgelegenen Park eine schöne Bank.

Wo wir vor allem im Balkan aber auch in Kroatien an jeder Ecke in jedem noch so kleinen Ort eine Bäckerei oder einen Lebensmittelladen vorgefunden haben, scheint es im ländlichen Ungarn etwas schwieriger Backwaren oder generell kleine Supermärkte zu finden. Ein weiteres kleines Indiz dafür, dass wir uns Deutschland nicht nur geografisch immer weiter nähern. Auch was das Radwegenetz angeht, ist Ungarn in einigen Teilen mindestens schon auf deutschem Stand. Wir sind auf unser heutigen Etappe nach Budapest des öfteren begeistert von der wirklich toll ausgebauten Fahrradwege-Infrastruktur. Und das, obwohl wir uns nicht mehr in der sehr touristischen Gegend des Plattensees befinden.



Am späten Vormittag kommen wir an einem kleineren See vorbei, der gerade nur dazu einlädt uns zu empfangen. So sagen wir zu dieser attraktiven Erfrischung nicht nein und springen ins Wasser. Ein echter Hochgenuss sich bei diesem doch sehr sommerlichen Wetter ein wenig abzukühlen.

Wie frisch geduscht fahren wir noch eine gute Stunde weiter, bis wir entkräftet in einem kleineren Ort nicht unweit von unserem Tagesziel Budapest in einem Eiscafé Rast einlegen und uns von Hamburger über Kuchen bis hin zu Eis üppig beglücken. Danach heißt es aber endgültig die letzten 30 km bis nach Budapest in Angriff zu nehmen.

Als wir endlich an die Donau kommen, wissen wir, dass es nicht mehr weit ist. Ein erhebendes Gefühl in Budapest anzukommen, irgendwie war diese Stadt immer ein großes Zwischenziel auf unserer Reise. Von hier aus geht es fast ohne Umwege (okay den kleinen Schlenker über Prag lassen wir außen vor) zurück nach Kassel. Und worauf wir uns mindestens genauso freuen, wir haben bis Wien die Ehre in Begleitung der Donau unterwegs zu sein. Ein toller Fluss, schon in Belgrad haben wir ihn kurz zu Gesicht bekommen.

Im Zentrum der Stadt angkommen halten wir an einer der vielen Brücken, um uns zu orientieren. Bevor wir zu unserem warmshowers host für die nächsten zwei Tage fahren, wollen wir der griechischen Botschaft noch einen Besuch abstatten mit der Hoffnung, dort eine griechische Flagge zu ergattern. Dieser Einfall ist Vincent in den letzten Tagen gekommen, um sich ein wenig von den immer mehr werdenden Radfahrern abzusetzen. Und auch um denen hier etwas zurückhaltenderen Leuten mehr Anhaltspunkte und Gesprächsstoff zu bieten.
Plötzlich kommt ein anderer Fahrradfahrer von hinten herangefahren und begrüßt uns freundlich, er stellt sich uns als Arpad vor. Wir kommen mit ihm ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass er selbst vor einigen Jahren mit seiner Frau eine vierjährige Weltumrundung mit dem Fahrrad gemacht hat. Deswegen scheint er in Ungarn sogar eine kleine Berühmtheit unter Radlern zu sein, da es hier deutlich weniger Menschen gibt, die so eine lange Reise unternehmen. Er begleitet uns auf seinem Nachhause-Weg zur griechischen Botschaft, die zufälligerweiße auf dem Weg liegt.

Nachdem wir glückliche Besitzer mehrerer griechischer Flaggen sind, lässt sich Arpad es nicht nehmen uns noch die typisch ungarische Süßigkeit in einem kleinen Kiosk zu kaufen, eine Art Milchschnitte mit Schokoladenmantel. Zu guter Letzt fahren wir noch zum bekannten Heldenplatz, wo er seine Weltumrundung gestartet und beendet hat. Er würde uns gerne noch eine ganze Stadtführung geben und auf ein Bier einladen, doch leider müssen wir weiter, denn unser warmshowers Gestgeber Viktor wartet schon auf uns.

Wir finden die Wohnung von Viktor unerwartet schnell ohne Orientierungsprobleme und werden schon von ihm erwartet. Wir schließen unsere Räder im Flur am Geländer fest und tragen unsere Taschen in seine Wohung, die er sich mit einem Mitbewohner teilt. Kaum sind wir drinnen, gibt er uns sehr motiviert eine ausführliche Einführung über die Stadt mithilfe eines Stadtplans. So viele Informationen auf einmal, wir können uns leider nur wenig merken. Danach wird erstmal geduscht. Kaum kommt Leon aus der Dusche, ist Vincent schon wieder abmarschbereit. Er will eine Bekannte vom Skifahren in der Stadt treffen und Leon will sich die Chance Budapest zu sehen natürlich auch nicht nehmen lassen. So ziehen wir gemeinsam los und treffen Marlen und Lena auf einem sehr hippen Streetfood Market in der Innenstadt.

Nach ein paar sehr leckeren Langos und der absolut ungarischen kulinarischen Spezialität Baumstriezel (nicht zu verwechseln mit ungarischem Baumkuchen!) ziehen wir ein paar Häuser weiter in die von Marlen und Lena heiß umschwärmte Ruinenbar. Nicht ohne Grund, denn diese ist wirklich einen Besuch wert! Auf zwei Ebenen wurde hier aus leer stehenden Häuser alles rausgeholt, was sich mit Vintage Style so machen lässt. Wir haben noch einen sehr netten Abend mit den Beiden und lachen viel.

Langsam werden wir aber alle müde und verabschieden uns auf ein baldiges Wiedersehen in Kassel zur documenta. Vincent bemerkt wenig später, dass Marlen die erste seit dem Start der Tour in Athen ist, die er vorher schon kannte. Wahnsinnig, wenn man bedenkt wie unglaublich viele neue Leute wir schon kennen gelernt haben. Doch ist es eine sehr schöne Abwechslung mal ein bekanntes Gesicht wiederzusehen und über gemeinsam vergangene Erlebnisse zu schwärmen.
Nach diesem wieder sehr ereignisreichen Tag fallen wir übermüde und glücklich in die Federn, nachdem wir unsere obligatorische Wäsche noch mit frischer Luft beglückt haben.